Online Shopping mit ChatGPT - geht das?

KI ist in aller Munde und war auch schon mehrfach Thema in den letzten Ausgaben dieses Newsletters. Letzte Woche war ich eingeladen, die Frage “Was ist Trend, was ist Hype?” in einem Webinar zu diskutieren. Und natürlich waren 45 Minuten dafür viel zu knapp. Unter anderem ging es darum, ob wir schon bald nur noch per Chatbot online einkaufen. Ich habe das einfach mal ausprobiert - das Ergebnis lest ihr hier. Comsysto Reply realisiert seit über 15 Jahren komplexe E-Commerce-Lösungen für Kunden aus allen Branchen. Parallel dazu verfolgen und analysieren wir relevante Trends in unserem E-Commerce Lab, um schon heute bereit für die Herausforderungen von morgen zu sein. Unsere Insights teilen wir hier – jede Woche dienstags!

Die große Angst, den Anschluss zu verpassen

Sowohl Dana Nedamaldeen als auch ich sehen bei vielen Unternehmen im Markt vor allem FOMO - die “Fear of missing out”. Der KI-Zug rollt, und niemand will den Anschluss verpassen. Häufig sollen dabei gar keine greifbaren Probleme gelöst werden, sondern es muss einfach irgendetwas mit KI in den Technologie-Stack. Mit einer Kundenbrille betrachtet ist das ziemlich absurd - als Know-How-Aufbau kann ein solches Vorgehen aber trotzdem sinnvoll sein. Denn sicher ist: Wer das Thema komplett an sich vorbeiziehen lässt, hat früher oder später ein Problem. Und so oder so ist das Risiko groß, aufs falsche Pferd zu setzen.

Spezialisierte oder breite KI-Modelle?

Eine Kernfrage ist beispielsweise: Ja, KI wird definitiv einen Platz in den meisten e-Commerce-Landschaften finden, aber welche Art von KI soll es sein? Trotz des aktuellen Hypes ist das Thema ja nicht neu, und KI-Modelle für Produktempfehlungen gibt es beispielsweise schon sehr lange, wenn auch mit durchwachsenem Erfolg im Vergleich mit sehr einfachen Heuristiken. Relativ neu ist das Thema GenAI, das vor allem durch ChatGPT bekannt geworden ist. Mittlerweile ist es möglich, mit einem Computer zu sprechen wie mit einem Kundenberater und dabei ziemlich solide Antworten zu bekommen.

Und an dieser Stelle haben wir im Webinar einen Knackpunkt diskutiert. Die beiden extremsten Standpunkte wären diese:

  • Ich trainiere für meinen Online-Shop ein komplett eigenes Modell, das ganz spezifisch auf meine Produkte, meine Kunden, meine aktuellen Marketing-Kampagnen und meine Art der Kundenansprache abgestimmt ist.
  • Ich verwende ein komplett generisches LLM, das nicht mehr auf e-Commerce oder meine Branche optimiert ist als auf Politik und den Wetterbericht.

Anbieter wie Neocom.ai setzen mit ihren Produkten darauf, dass keine dieser beiden Varianten effektiv zum Ziel führt. Die komplette Eigenentwicklung ist viel zu aufwändig und läuft Gefahr, technisch nach kurzer Zeit den Anschluss zu verlieren. Und die Ergebnisse des komplett generischen Modells sind einfach nicht gut genug. Die Lösung ist ein Mittelweg: individuelle Daten des jeweiligen Händlers werden verwendet, um ein ohnehin schon recht speziell auf den Anwendungsfall e-Commerce ausgelegtes Modell zu verfeinern, das zudem über diverse Schnittstellen zu anderen Systemen (Stichwort RAG - Erklärung von Fraunhofer) verfügt.

Am Ende ist das eine Wette darauf, dass sehr generische Modelle auch perspektivisch nicht gut genug sein werden. Die Frage nach der Qualität hat dabei zwei Dimensionen. Erstens, wie gut sind die inhaltlichen Antworten und Empfehlungen; da geht es viel um Datenqualität. Zweitens, wie natürlich, präzise und angenehm ist der Kommunikationsstil. Wer beim zweiten Punkt nicht mit den Besten am Markt mithalten kann und beispielsweise ständig Fragen fehlinterpretiert, der wird bei Nutzern keinen positiven Eindruck hinterlassen können und damit auch kein Vertrauen in die Inhalte schaffen - egal wie gut diese faktisch sind.

Wie gut sind breite KI-Modelle aktuell im e-Commerce?

Zurück zur Frage, ob generische Modelle nicht vielleicht doch gut genug sind. Ich habe das einfach mal ausprobiert und ChatGPT in einer komplett neuen und kontextfreien Session gebeten, mich bezüglich meiner neuen Kopfhörer zu beraten. Die ersten Nachfragen wirken erst einmal plausibel und sprachlich einwandfrei.

Produktberatung durch ChatGPT
Produktberatung durch ChatGPT

Der Chat geht nach dieser Einleitung weiter mit konkreten Produktvorschlägen, deren Vor- und Nachteilen und grundsätzlich korrekten aber auch irgendwie nichtssagenden Beschreibungen. Beispielsweise ist der Klang bei einem Modell “Detailreich und ausgewogen”, bei einem anderen “Neutral und klar”, und bei einem dritten “Klar und ausgewogen”. Wie sich das jetzt genau in meinem Ohr anhören würde weiß ich nicht, aber dafür müsste ich wahrscheinlich so oder so einmal im physischen Laden probehören. Letztendlich führt mich unser Gespräch zu den Apple AirPods und ich will wissen, wo ich diese am besten kaufen soll.

Die vermeintliche Preisberatung von ChatGPT
Die vermeintliche Preisberatung von ChatGPT

Es werden einige Händler aufgeführt, bei denen ich ebenfalls manuell gesucht hätte. Dazu bekomme ich noch den Hinweis: “Sei vorsichtig bei Angeboten, die deutlich unter dem Marktpreis liegen, insbesondere auf Plattformen wie eBay oder Kleinanzeigen. Es gibt Berichte über gut gemachte Fälschungen der AirPods Pro 2, die äußerlich kaum vom Original zu unterscheiden sind, jedoch in Klangqualität und Funktionalität deutlich schlechter abschneiden.” Vielleicht für manche durchaus relevant.

Ich entscheide mich für den Kauf bei MediaMarkt, und siehe da: der Preis ist falsch! 40€ zu sparen ist erstmal eine gute Nachricht, allerdings hätte ich das noch nicht einmal bemerkt, wenn ich mich für Apple entschieden hätte. Dort wäre ich ebenfalls überrascht gewesen, plötzlich 279€ bezahlen zu müssen. Preisvergleich liegt ChatGPT also noch nicht wirklich.

Der tatsächliche Preis bei MediaMarkt einen Klick später - eine positive Überraschung
Der tatsächliche Preis bei MediaMarkt einen Klick später - eine positive Überraschung

Ich konfrontiere die KI mit ihrem Fehler. Und werde direkt nach Feedback gefragt, welche Art der Rückmeldung ich mir denn in diesem Fall wünschen würde. So lernt ChatGPT von mir und die Kommunikation wird durch solches Nutzerfeedback immer besser. Leider gilt das nicht automatisch für den Inhalt: die genannten Preise sind jetzt anders, aber immer noch falsch. Naja, komplett überzeugt bin ich nicht.

ChatGPT reagiert auf meinen Hinweis, dass die angegebenen Preise falsch sind
ChatGPT reagiert auf meinen Hinweis, dass die angegebenen Preise falsch sind

Offensichtlich hat OpenAI kein Live-Function-Calling für den Preisvergleich implementiert. Oder vielleicht auch einfach keinen Zugriff auf die richtigen Daten? Bei Google dürfte das - Stichwort Google Shopping - definitiv kein Problem sein, aber auch hier liefert mir Gemini (noch?) keine Live-Daten. Es könnte also etwas dran sein an der Hypothese, dass generische Modelle als Shopping-Interface einfach noch nicht gut genug sind. Zumindest aktuell.

Wie werden Online-Shops in einigen Jahren grundsätzlich aussehen?

Trotzdem stellt sich die Frage, ob Online-Shops in ihrer heutigen Form in ein paar Jahren überhaupt noch eine Daseinsberechtigung haben werden. Was, wenn ChatGPT, Siri & Co. schon bald so gut darin sind, uns ohne Medienbruch durch den kompletten Explorations-, Such- und Bestellprozess zu begleiten, dass wir gar keinen Grund mehr haben klassische Storefronts zu benutzen? Ob das so kommen wird, habe ich letzte Woche auch die LinkedIn-Community gefragt - ihr könnt immer noch teilnehmen.

Es gibt durchaus Anzeichen dafür, dass sich OpenAI genau so eine Zukunft ohne eigenes Storefront sehr gut vorstellen kann. Oder zumindest einen zusätzlichen wichtigen Kanal, ähnlich zu Google Shopping. Hanns Kronenberg hat erst letzte Woche darüber berichtet, dass OpenAI offensichtlich an einer engeren Integration mit Shopify arbeitet, um Bestellungen direkt aus dem Chat heraus anstoßen zu können - das wäre ein echter Game Changer!

Und was sollten wir schon heute angehen?

Aktuell ist das noch Zukunftsmusik, aber dennoch sollte diese auch heute nicht ignoriert werden. Zumindest aus Risiko-Management-Sicht auf strategischer Ebene! Wenn es wirklich so kommt, dann hätte das dramatische Implikationen:

  • SEO spielt praktisch keine Rolle mehr, es zählt nur noch die Auffindbarkeit durch die großen Chatbots.
  • Es gibt kaum eine Möglichkeit, die eigene Brand auf der eigenen Plattform zu schärfen weil sich dort keine Nutzer aufhalten. Umso wichtiger wird Social Commerce.
  • Wenn man sich nicht mehr über die Customer Experience in der Online-Welt differenzieren kann, zählt die Offline-Welt dafür umso mehr. Exzellente Logistik wird also noch wichtiger.

Egal was die Zukunft bringt: Diese Themen schon heute mitzudenken und anzugehen ist definitiv kein Fehler. Und parallel dazu sollte niemand vergessen, die kleinen und einfachen Dinge zu implementieren, die schon bald alle Nutzer überall erwarten werden. Beispielsweise gute und wertvolle Zusammenfassungen aller Kunden-Reviews. Oder eine gute Suche, die diesen Namen wirklich verdient. Und natürlich sollten auch die Preise korrekt und wettbewerbsfähig sein. Die aktuellen Prioritäten der Online-Shopper in Deutschland lassen erahnen, was schon heute ein Must-Have ist und wo noch mehr Luft zum Experimentieren bleibt.

Marktforschung zu den aktuell gewünschten KI-Features im e-Commerce in Deutschland (Quelle: Statista)
Marktforschung zu den aktuell gewünschten KI-Features im e-Commerce in Deutschland (Quelle: Statista)

Das war’s für heute – und so geht es weiter

Eine letzte Empfehlung für heute: Niemand sollte die Macht der Analytics-Daten rund um das Suchfeld des eigenen Online-Shops unterschätzen. In der Hochzeit von Google haben Nutzer gelernt, wie man möglichst “maschinenkompatibel” sucht. Aktuell lernen sie, dass man in ein Suchfeld mehr oder weniger eingeben kann, was man gerade denkt, und eine hilfreiche Antwort zurückbekommt. Die Nutzereingaben sind also heute viel näher an der eigentlichen Intention der Nutzer als noch vor einigen Jahren. Eine echte Goldgrube, um diese besser zu verstehen!

Nächste Woche beschäftigen wir uns an dieser Stelle intensiver mit dem Thema Logistik. Egal ob mit eigenem e-Commerce-Frontend oder ohne - die Ware muss zum Kunden…

Bis nächste Woche!

Christian & das Comsysto Reply e-Commerce Lab