Vor zwei Wochen habe ich euch an dieser Stelle die berühmten K5 Thesen von Deutschlands führender Retail-Konferenz zusammengefasst. Prominente Branchenexperten geben dort ihre Prognosen ab, wohin der Markt sich entwickelt und welche Trends sich durchsetzen – oder eben nicht. Angelehnt daran teile ich heute meine eigene Sicht auf die nächsten 12 Monate. Comsysto Reply realisiert seit über 15 Jahren komplexe e-Commerce-Lösungen für Kunden aus allen Branchen. Parallel dazu verfolgen und analysieren wir relevante Trends in unserem e-Commerce Lab, um schon heute bereit für die Herausforderungen von morgen zu sein. Unsere Insights teilen wir hier – jede Woche dienstags!
These 1: Fulfillment wird der entscheidende Wettbewerbsfaktor für Retention im B2C
Schon heute ist alles, was nach der Bestellung passiert, wichtig, aber dieser Aspekt wird noch wichtiger werden! Warum? Ganz einfach: alle Touchpoints nach der Bestellung bleiben nah am Menschen. Wie schnell ist mein Paket bei mir? Welche Lieferoptionen habe ich und wie reibungslos funktionieren diese? Was ist mein erster Eindruck von der Wertigkeit beim Auspacken des Pakets? Und wie ist die Service-Qualität, wenn etwas nicht passt? Wie komfortabel ist das Retouren-Management? Funktionieren Zahlungen und Rückerstattungen einwandfrei? In all diesen Bereichen müssen Online-Händler ein Mindestmaß an Qualität erreichen und können beim Verbraucher positiv auffallen.

Das hat wenig Einfluss auf die erste Bestellung – wie könnte es auch? Aber für die Retention, also wiederkehrende Kunden, sind genau diese Prozesse essenziell. Und ich teile die Einschätzung von Stefan Wenzel auf der K5 zu 100%: Retention ist wichtiger als Conversion. Wer diese organisch hochhalten kann gewinnt! Neukunden zu gewinnen wird immer teuer sein, und damit dieses Investment sich auszahlt sollten sie dann einen möglichst hohen Customer Lifetime Value (Wikipedia) haben. Den gibt es nicht mit einer einzigen Bestellung...
Stichwort Conversion: die Online-Shopping-Erfahrung selbst wird mehr und mehr agentisch bzw. automatisiert werden und “man kann hier so schön shoppen” ist schon bald kein Wettbewerbsfaktor mehr. Damit haben wir uns in diesem Newsletter schon mehrfach beschäftigt, z.B. hier oder hier. Genau deswegen werden im Bereich der klassischen Storefronts die Investitionen eher zurückgehen. Und das eingesparte Geld wandert dann in die Auffindbarkeit durch KI-Agenten – und natürlich ins Fulfillment.
Möglicherweise bin ich der Zeit hier ein wenig voraus, aber wenn dann sprechen wir nur von 1-2 Jahren. Länger wird es nicht dauern, bis die massive Transformation des e-Commerce sowohl im Konsumentenverhalten als auch bei den meisten Händlern angekommen ist.
These 2: KI ist für den B2B Vertrieb was das Internet für den B2C Handel war
Das Katalog-Geschäft war zu unpraktisch und unhandlich, um den Versandhandel wirklich erfolgreich zu machen. Erst mit dem Internet wurde es für die breite Masse praktikabel, weil der Online-Kauf tatsächlich schneller und einfacher sein konnte, als in einen Laden zu gehen. Und damit meine ich vor allem die breite Masse an Händlern - ja, den Quelle-Katalog hatten viele zuhause. Aber es gab nicht viele Player dieser Größe, und die Fixkosten waren enorm.

Genauso verhält es sich in unserer heutigen Zeit mit dem B2B-Vertrieb – dieser ist meist deutlich komplexer und erklärungsbedürftiger, und zudem stark personalisiert. Einen Online-Vertriebskanal aufzubauen, der gut genug funktioniert, um tatsächlich Umsatz zu generieren, war bisher ebenfalls nur für wenige Unternehmen überhaupt stemmbar. Und genau das ändert sich gerade! Es wird einfacher, gute Lösungen zu bauen, wenn ich dafür nur noch die richtigen Agenten orchestrieren und nicht mehr alles von Hand implementieren muss. Und auch die Entwicklung der verbleibenden Software wird durch KI effizienter.
Ich prognostiziere für die nächsten 12 Monate einen massiven Zuwachs an Digitalisierung und Automatisierung im B2B-Vertrieb – wie viel davon in einem Jahr bereits live sein wird ist fraglich, aber die steigenden Investitionen werden wir sehen können.
These 3: In 2026 wird Content für die Tonne salonfähig
Man kann es auch positiver formulieren: Content wird sehr stark personalisiert und kontext-abhängig sein. Es geht also nicht mehr darum, eine möglichst große Reichweite mit einem einzelnen Asset zu erzielen. Stattdessen wird vieles erst on-demand produziert und ausgespielt, um genau den Teil der Customer Journey, in dem sich der Nutzer in genau diesem Moment befindet, bestmöglich zu begleiten. Konkretes Beispiel: Die Produktsuche des Nutzers begann mit der Intention, ein neues Outfit für einen Segeltrip zu finden. Es liegen bereits zwei kombinierbare Bekleidungsartikel im Warenkorb und die Recommendation Engine hat einen Vorschlag für ein Drittes. Genau diese Kombination mit einem Model in Szene zu setzen, das sich gerade auf einem Segelboot befindet, möglicherweise sogar als dynamischer Video-Content, hat definitiv höhere Chancen auf einen Upsell als ein statisches Produktbild. Und beim Nutzer erhöht es selbst ohne weitere Kaufabsicht die Vorfreude auf das geplante Event und verbessert somit in jedem Fall die Experience.

Und die Nutzer? Werden Content nach wie vor sehr selektiv konsumieren. Ja, alles muss an der richtigen Stelle da sein, wenn wir es brauchen. Aber in den meisten Fälle gehen wir einfach nur darüber hinweg. Wir werden also mehr Content, den niemals ein Mensch oder ein Agent tatsächlich konsumiert, produzieren als jemals zuvor. Und ja, das wird völlig normal sein. Auch wenn sich das nicht unbedingt positiv auf den CO2-Fußabdruck des e-Commerce auswirken wird...
Das war’s für heute – und so geht es weiter
Soweit meine Prognosen – wo stimmt ihr zu? Was seht ihr anders? Sicher ist: es bleibt dynamisch und ich wäre selbst ziemlich überrascht, wenn sich all diese Thesen genau so bewahrheiten. Noch überraschter wäre ich allerdings, wenn es komplett anders kommt. Die nächsten 12 Monate werden es zeigen – und ich werde diesen Newsletter definitiv in einem Jahr wieder aufgreifen.
Nächste Woche schwenken wir aber erst einmal wieder zurück an die Schnittstelle zwischen B2B und B2C! Konkret werden wir uns ansehen, was B2B-Shops von der B2C-Welt lernen können - und warum das schon bald nicht mehr optional sein wird.
Bis nächste Woche!
Christian & das Comsysto Reply e-Commerce Lab